Nightcafé, Auf einem Bein hört es sich nicht gut ….
Kurzergebnisse eines „Micro-Trottoirs“ wie die Franzosen für eine Kurzumfrage sagen.
Drei männliche Jugendliche sitzen auf einer Parkbank an einem Montagmittag und daddeln auf ihren Handys. Kommentare „Geil, schau mal …“ etc. . Spontane Frage des Passanten, der just eine Recherche erstellt zu dem Thema „Radio – und Audionutzung jugendlicher Zielgruppen im Dezennienvergleich“: „Hi, Verzeihung, ich hätte da mal eine Frage: Wann habt ihr zum letzten Mal Radio wo gehört?“
Junger Man No. 1: „Heute früh im Auto. Mit meiner Mutter.“
Junger Mann No. 3: „Ja, ich auch. Auf dem Schulweg im Auto meiner Mutter.“
Junger Mann No. 2: „Ja, im Auto heute früh …. Auch, mit meiner Mutter.“ Da diese Kurzbefragung im Speckgürtel Frankfurts erfolgte, handelt es sich hier nicht um eine durch den ÖPNV schlecht versorgte Region. Brave Muttis ….. Aber das ist ein anderes Helikopter- und bestimmt auch Öko-Thema.
Wie sieht es denn aus mit der Radionutzung der 14 bis 29-Jährigen? Am besten im Vergleich der letzten Dezennien?
Eine Auswertung der Studie ARD ZDF-Massenkommunikation zeigt die deutliche Abweichung junger Zielgruppen im Vergleich zu den Älteren bei der reinen Radionutzung im Berichtszeitraum 2022-2023: Die Nutzungsdauer in Minuten Radio live hören belief sich nur auf die Hälfte der Zeit aller Befragten mit 71 Minuten täglich für die 14 bis 29-Jährigen. Zeitversetztes Radio- und Podcasthören machten nur einen geringen Anteil aus mit zusätzlichen 22 Minuten.
Jüngste Ergebnisse aus der Reichweitenforschung zeigen zwar, dass es vermutlich bedingt durch eine höhere Mobilität nach Corona und damit verbunden zu einer Rückkehr zu gewohnten Alltagsroutinen kam. Neuerdings wird dafür weniger Musik-Streaming genutzt.
Die Gruppe der 14- bis 29-Jährigen verbringt 10 Minuten mehr pro Tag mit klassischen, linearen Radioangeboten gegenüber dem Erfassungszeitraum 2022. Insgesamt handelt es sich bei diesen Nutzungsmenge um die satte Hälfte der durchschnittlichen Radionutzungszeit aller Altersgruppen. Und das zeigt signifikant eine Abkehr von dem Medium.
Wie lauten nun die Strategien der Radioanbieter?
Radio NRJ-Deutschland Social Media-Chef Björn Röhn berichtet von einem auf TikTok ausgeschriebenen Casting mit dem der Gewinner eine Radiosendung gewinnen konnte. Damit erzielte Effekte lauteten: Branding für die Marke, potentielle Nachwuchstalente identifizieren und gegebenenfalls rekrutieren, neue Programminhalte ausprobieren. Eine weitere Strategie bestand darin, einen dezidierten Channel K-Pop-Channel zu lancieren und somit einen „Fuß in der Tür“ zu neuen Formaten zu haben. Mit speziellen Streaming-Audioangeboten lassen sich generell neue Formate testen.
Valerie Weber von Audiotainment Südwest empfiehlt die Auftritte von Radio Influencern ins Auge zu nehmen, um zu erkennen, was, wo wie läuft. Eine Strategie, die nicht nur Radio NRJ erfolgreich umgesetzt hat und prominenten Akteuren einen Bühne bot wie „dieser.johnny“ und „Paulomuc“. Beide bringen es nach Angaben des NRJ-Mannes auf respektable Followerzahlen, die an die 2 Millionen heranreichen.
Nicht von der Hand zu weisen sind „Nebenbei-Effekte“ des Heranziehens neuer Akteure für die Werbung. Radiosender können sich weitere Umsatzquellen erschließen durch Social Media, Banner- und Textfeldwerbung auf der Website, durch das Erstellen von Videos mit Werbeinsertionen, Pre- und Postrolls und anderen Werbeformen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Umstand, dass manche Ziel-Kunden nicht unbedingt über ein Radiowerbebudget verfügen, doch aber über den Kommunikationskanal social und digital zu gewinnen sind. Bei der fast entstandenen Allmacht der GAFAs lassen sich viele neue Kunden und neue Umsatzpotentiale erschließen. Man denke da nur beispielsweise an die französische La Poste, die sich verlorengegangene Kunden durch kreative Marketingmaßnahmen zurückholt und zur Bekanntmachung ihrer Aktivitäten Radio benötigt. Gemeint sind neue Angebote wie Umkleidekabinen für Rücksendungen im E-Commerce, Agieren als Dienstleistungsdistributor für das Handwerk oder für Senioren. Im benachbarten Ausland funktioniert dies bereits. Auch Aktionen im LEH, wo die Handelskette Carrefour Rabattaktionen mit einem Streaminganbieter durchführt. Hier gibt es Chancen nicht nur für eine unmittelbare Bewerbung über Radio sondern einen Einsatz solcher Marketingaktionen durch und mit Radio selbst. Dies als kleinen Exkurs zur Digitalen Transformation.
Zurück zu den Nachwuchsmoderatoren: Auch wenn der Funkhausleiter Alexander Koller meint, „dass die Sender viele neue Talente ausprobieren MÜSSEN, um das Beste nachfolgen zu lassen,“ würde er von angeblichem größerem Selbstbewusstsein aber Abstand nehmen. “Die Pioniere waren die, die den größten Mut hatten und auch den größten Hang sich ins Schaufenster zu stellen bzw. Bühnen zu vertreten — sie waren einfach extrovertierter. Das ist heute anders.“ Ihm zufolge ist eine Moderatorenstelle nicht unbedingt das, was die jungen Menschen anstreben. „ Wir müssen manchmal die Hunde zum Jagen tragen. Wir haben junge talentierte Menschen, die sich zwar 100.000 Hörer über das Mikrofon ansprechen trauen, sich aber nicht auf eine Bühne mit 10 Zuschauern wagen.“
Was die öffentlich-rechtlichen Sender anbelangt mit Puffpaff und Bokelberg (ex-Viva) 47 Jahre… so jung sind die auch nicht mehr. Der SWR3-Mann Constantin Zöller passt ins Jugendschema und hat zudem noch eine Privatradio-Vergangenheit, nur, die hier angestellten Überlegungen betreffen vornehmlich just privatwirtschaftliche Radiosender.
Alexander Koller rechts mit Moderator
Was die in öffentlich-rechtlichen Sender anbelangt mit Puffpaff und Bokelberg (ex-Viva) 47 Jahre… so jung sind die auch nicht mehr. Der SWR3-Mann Constantin Zöller passt ins Jugendschema und hat zudem noch eine Privatradio-Vergangenheit, nur, die hier angestellten Überlegungen betreffen vornehmlich just privatwirtschaftliche Radiosender.
Es ist durchaus ok, wenn nicht sogar dringend empfehlenswert, dass gerade die privaten Radioanbieter auf neue Streaming-Channels setzen, die eingangs erwähnten jungen Leute nutzen das Handy überall, und Radio wird von ihnen sehr häufig mobil gehört. Laut einer Zählung durch das Unternehmen AIR SUPPLY in der 50. Kalenderwoche 2023 sind derzeit 1.769 Angebote aktiv. Es bieten sich also reichlich Spielfelder in Webradio-Submarken um Neues auszuprobieren in kuratierten Streams und somit um die Jungen wieder und noch mehr für Radio und Audio – und zwar in dieser Reihenfolge erstmal – zu gewinnen.
Letztlich stellt sich noch die Frage des verlässlichen Messens neuer und junger Formate. Wie ermittelt man – abweichend zu den allermeist von Juroren genutzten herkömmlichen Kriterien wie Sprachkompetenz, Moderationstalent, Persönlichkeit und geschickte Auswahl der Themen – wie die jungen Moderatoren tatsächlich bei der Zielgruppe ankommen? Die zur Verfügung stehenden mittlerweile nicht mehr so innovativen Instrumente lauten neben Logfile-Analyse und Sentiment Analysis, eine sogenannte ‚emotion engine‘, und Fokusgruppengespräche. Nur, deren Einsatz steht vor den Hürden Repräsentativität und Kosten. Eine Anfrage bei den Veranstaltern von „Traut euch! ….“ Kompliment an die Gewinnerin, Sarah Edelmann, an dieser Stelle, blieb leider ohne Antwort. Ob weitere Instrumente wie sie das Kölner Mafo-Unternehmen September nennt „: Psychologische Tiefeninterviews, Einzelexplorationen, Gruppendiskussionen im Marktforschungs-Studio oder im natürlichen Umfeld“ beispielsweise für die Auswahl der Gewinner des Radiopreises genutzt wurden, war im Laufe der Recherche nicht zu erfahren.
Anders sieht es aus bei Planet Radio, wie man aus Bad Vilbel bei Frankfurt am Main hört. Zum Einsatz kommen dort begleitend zu laufenden Erhebungen der Agma, die befasst ist mit der Messung der Massenkommunikation und als Standard für Media-Analysen in Deutschland gilt, parallel laufende Analysen des Hörfunkangebots. Durchgeführt von einem – nicht genannten – Mafo-Unternehmen werden begleitend zur Ma aber in kürzeren 2- oder 4-Wochenabständen Analysen des Programms durchgeführt mittels Logfile-Analysen, Tagebucherhebungen, Befragungen ausgesuchter Personen und Telefoninterviews zum Beispiel. Anbieter hierfür in Deutschland heißen Ifak, Kantar oder ebrand nur um einige zu nennen. Mit Sicherheit steht mit dieser Strategie Hit Radio FFH mit Planet Radio nicht alleine. Zumindest die großen Hörfunkanbieter analysieren wohl durchaus konstant die Resonanz ihres Angebots. Es ist verständlich, dass diese Aktivitäten und vor allem die Ergebnisse eher unter der Decke bleiben.
Aus dem zentralen Radioverband in Berlin ist zu hören, dass man auf jeden Fall nachvollziehbar und mit validen Messkriterien die einzelnen Produktionen der im Radiopreis im Wettbewerb stehenden Beiträge bewertet aber keinen Effie-Award vergibt. Dieser würdigt den tatsächlichen Erfolg einer Kampagne, gemessen an ihren messbaren Ergebnissen wie Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Marketingaktivitäten für Filme anders als zum Beispiel das Cannes Lions Festival, das sich auf die Kreativität und Innovation der Kampagnen fokussiert. Ein Punkt beim Effie lautet: „Cultural relevance – Did the campaign tap into current cultural trends and resonate with the zeitgeist?“
Und da wären wir bei der in dieser Betrachtung vorherrschenden Frage: Ist heutiges Radio noch zeitgemäß für junge Zielgruppen? Eine weitere Frage lautet: Sind die Radiopreis-Juroren tatschlich auf dem Laufenden was die Youngsters wollen und mögen? Laut Auskunft des Mafo-Unternehmens ‚September‘ liegen die Kosten im unteren fünfstelligen €-Bereich für eine Messung der Attraktivität neuer Radioformate. Die Firma berichtet von einer Inanspruchnahme ihrer Dienstleistungen durch einige ARD-Anstalten. Wo bleiben da die Privaten?
Bild: Das ist nicht Sarah 🙂 Dalle 2
Ein Resümee dieses Betrags lautet also:
Die Radionutzung bei jungen Zielgruppen sinkt. Strategien einiger Radioanbieter gegen den Reichweitenverlust lauten: Einsatz von Social Media, Casting auf TikTok, K-Pop-Channel, Einsatz und Aufbau von Radio-Influencern somit zugleich Erschließung neuer Umsatzquellen: Social-Media-Werbung, Kooperationen mit Streaminganbietern. Förderung junger Talente: Nachwuchsförderung, neue Moderatorenformate. Experimentieren mit neuen Formaten: Streaming-Channels, kuratierte Webradio-Submarken.Die Herausforderungen lauten unter anderem: Aufbau neuer Nischenprogramme und Förderung junger Talente, Messung des Erfolgs neuer Formate bei gegebenen Hürden wie Kosten und Repräsentanz.
Dieser Beitrag wurde von Helmut Poppe erstellt als Hintergrundrecherche für zwei Kongresse und Kooperationspartner redtech.pro, Paris Radio Show und Radiohouse.fr
Helmut Poppe ist seit Beginn der deutschen Privatfunkgeschichte mit dabei. Er begann seine Berufskarriere bei einem Kabelanbieter Mitte der 80er Jahre in Berlin, wechselte anschließend zu Stationen in Vertrieb und Marketing bei RPR und Studio Gong. Bei IPA, einem der großen Hörfunkvermarkter – privat und ARD zugleich – sammelte er als Verkaufsdirektor internationale Erfahrung, die er anschließend im Digitalgeschäft ausbaute bei einem Vorläufer von arcor/Vodafone namens germany.net. Auch dort agierte er als Pionier und zwar im Digital Advertising. Nach einer Zwischenstation ‚im Staatsauftrag‘ mit der Aufgabe, digitale Formen der Kooperation und des Lernens in das deutsche Bildungswesen zu bringen – hierbei spielten bemerkenswerterweise Verfahren aus der Kommunikationsforschung eine besondere Rolle – ist er seit einigen Jahren wieder im Radiobusiness unterwegs. Er tritt dort als Host des Videoblogs #RadioSalesWeekly auf und verfolgt mit Persönlichkeiten aus der Branche ausgewählte Entwicklungen der Medienbranche.
Summary of this article:
- Radio usage among young target groups is declining.
- Strategies of some radio providers against the loss of reach include:
- Use of social media
- Casting on TikTok
- K-Pop channels
- Use and development of radio influencers
- Development of new revenue streams:
- Social media advertising
- Cooperations with streaming providers
- Promotion of young talents:
- Talent development
- New moderator formats
- Experimenting with new formats:
- Streaming channels
- Curated web radio sub-brands
The challenges include:
- Development of new niche programs and promotion of young talents
- Measuring the success of new formats given hurdles such as costs and representation
This article was written by Helmut Poppe as background research for two congresses and cooperation partners redtech.pro, Paris Radio Show and Radiohouse.fr