Privatradios: Provisionen und der Blues im Vertrieb

Dieser Artikel erschien in radioszene.de am 15.02.2021

Spätestens im letzten Herbst zeichnete sich ab, dass das Werbejahr 2020 für die privaten Radioanbieter mehr oder weniger stark rückläufig sein wird. Die mittlerweile vorliegenden nationalen Umsatzzahlen von Nielsen zeigen, dass nach erfreulichen positiven Zuwächsen und einem Rückgang im November im Vorjahresvergleich ein regelrechtes Abschmieren im Dezember folgte. Insgesamt liefen 2020 durchschnittlich gut 4 Prozent weniger Werbeumsätze aus dem nationalen Sektor in die Stationen.

Noch wesentlich schlechter sah es bei den Lokalumsätzen aus. Je nach Position der Anbieter in ihren Märkten und abhängig von dem jeweiligen regionalen Ballungsraum, in dem sie sich befinden, bezifferten sich die Umsatzrückgänge im Vergleich zu 2019 durchschnittlich auf etwa 30%. Da diese Umsatzquelle bei der Gesamtheit der Stationen zwischen 30 und 60% ausmacht, steht das Privatradiolager mit einem Minus für das Jahr 2020 von geschätzten durchschnittlich 25 Prozent da. Dies bedeutet, es gingen einige hundert Millionen Euro weniger in die Kassen der Anbieter.

Stark betroffen ist hiervon naturgemäß vor allem der lokale Vertrieb. Er ist es, der den Kontakt zur lokalen Wirtschaft pflegt, das Ohr am Markt hat und selbst einen persönlichen finanziellen Schaden davon trägt. Dies kann bitter für die Verkäufer sein.

Wie in der Fachgesprächsrunde „RadioSalesWeekly“ zwischen deutschen und internationalen Anbietern festgestellt wurde, laufen hierbei die Entwicklungen in den ausgewählten Ländern Großbritannien und Frankreich uneinheitlich. Im englischsprachigen Raum ziehen, wie Gerad Edwards CEO von Podcastradio.UK berichtet, die neuen Angebotsformen im Audiobereich die Stimmung und Umsätze nach oben. Ihm zufolge machten die Werbeeinahmen hieraus bereits bemerkenswerte 20% aller Audioumsätze aus.

In Frankreich stellt sich im Moment die Lage anders dar als die, welche im im Frühjahr 2020 herrschte. In diesem Zeitraum ruhte das Wirtschaftsleben bei unseren Nachbarn weitgehend infolge eines generellen Lockdowns. Jetzt aber bleiben seit letztem Sommer der Einzelhandel und große Einkaufszentren geöffnet. Dies hat zur Folge, dass das Werbegeschäft weiter läuft und sogar Jahresabschlüsse für das begonnene Jahr für in Radio laufende Kommunikationsmaßnahmen und teilweise in hohem Ausmaß für bestimmte Branchen abgeschlossenen wurden. Die Frage ob Engländer und Franzosen im Vertrieb den Blues haben, wurde jenseits des Kanals verneint, man sieht solch eine Entwicklung allenfalls bei einem Andauern der Pandemie länger als  „zwei, drei Jahre“.

Michel Colin, mediaticsconseil

Frankreich – nebenbei bemerkt und statistisch belegt als heftiger Verbraucher von Beruhigungsmitteln – nimmt’s nicht so leicht, in den Stationen gibt es wie Radioexperte Michel Colin bestätigt, schon Frust, dieser hielte sich aber in Grenzen. Einen in der Gesprächsrunde von Alexander Zeitelhack geäußerten Vorschlag, psychologische Beratung für Sendermitarbeiter anzubieten in den jetzt schwierigen Zeiten ähnlich wie in Hochschulen, die dergleichen durchführen, wurde von dem linksrheinischen Radiomarketingexperten Colin interessiert aufgenommen.

Dass im Verkauf, der ja naturgemäß die Radioanbieter am Leben erhält, Trübsal herrscht, ist angesichts der genannte Zahlen nachvollziehbar. Konkret heißt dies, bei einem gerade in Süddeutschland praktizierten ausgesprochen niedrigem Fixum von 1000 € im Monat müssen Werbezeitenverkäufer Einkommensrückgänge wegen fehlender Provisionen von 2000 bis 5000 € monatlich verdauen müssen. Als Strategie erprobten Stationsmanager Kurzarbeitsmodelle mit entsprechendem noch niedrigerem Fixum und einer Anpassung der Provisionsätze nach oben, die im normalerweise in einem höheren einstelligen Prozentbereich liegen. Dies wurde aber verworfen, da solche lineare Strategien dem Verkaufs-Spirit und dem „Hunter“-Prinzip widersprächen. Angestellte Radiovertriebler, die provisionsabhängig und angestellt sind, haben keinen Anspruch auf staatliche Hilfen anders als sogenannte Solo-Selbständige wie in der Eventbranche, der Hotellerie oder anderen.

Nach Aussagen zahlreicher Vertriebler lehnen es diese mittlerweile ab, Prognosen und Forecasts für das laufende Jahr vor dem letzten Quartal 2021 zu treffen. Es bleibt zu hoffen, dass die privaten Anbieter diese lange Durststrecke durchstehen. Sie stehen wieder einmal schlechter da als ihre Mitbewerber im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder bei nationalen Vermarktern, wo zum einen die nationalen Umsätze weniger stark rückläufig waren und der Fixumanteil am Gehalt eher bei 70% liegt. Es stellt sich auch die Frage, ob und warum nicht private Sendeanstalten staatliche Unterstützung beispielsweise von Medienanstalten an ihren Verkauf weiterleiten. Wie schon zu Beginn der Pandemie im Frühjahr des letzten Jahres gefordert, tun die Geschäftsleitungen gut daran, ihre Mitarbeiter die substantiellen persönlichen Einkommensrückgängen zumindest teilweise auszugleichen, um diese wichtigen Mitarbeiter zu halten. Ein erfolgreicher Verkäufer könnte sich auch umorientieren und zum Beispiel in den Vertreib anderer erklärungsbedürftiger Produkte gehen wie beispielsweise Dienstleistungen im IT-Bereich, die momentan florieren und mit Sicherheit auch weiterhin einen starken Zuwachs erfahren werden.

Andreas Sprengart, Marketingleiter bei Antenne Kaiserslautern, empfiehlt den Verkaufsleuten: „Kunden noch mehr pflegen, Anpassungsfähigkeit entwickeln bei Kundenbedürfnissen und Fleiß.“

Ganz nebenbei schälte sich bei der Analyse der Situation ein interessanter Teilaspekt heraus. Frauen im Verkauf – durchaus Mütter und in Halbtagsstellen – brachten es fertig, in den letzten Monaten erhebliche Umsätze hereinzuholen, was sich in Monatsprovisionen im fünfstelligen Bereich ausdrückte. Tough gemacht und Bravo kann man da nur sagen.

Erläuterung zu den Tabellen Werbeeinkünfte

Magna Mediabrands prognostiziert für 2021 in französischen Radios einen Zuwachs der Radioumsätze von 8% nach einem Rückgang von 11% im Jahr 2020. Die Zahlen für UK: 2020 Rückgang von 23%, prognostizierter Zuwachs 2021 9%. Der aufgeführte Vergleich mit Deutschland und mit  absoluten Umsatzzahlen ist nicht möglich wegen Unschärfen bei den Angaben brutto und netto sowie der Abgrenzung Typen der Anbieter lokal, regional, national. Insgesamt erlauben sie aber eine Identifizierung von Tendenzen.

ENTWICKLUNG UND PROGNOSE WERBEEINNAHMEN FRANZÖSISCHE MEDIEN

Quelle: emarketing.fr

ENTWICKLUNG UND PROGNOSE WERBEEINNAHMEN UK-MEDIEN

campaignlive.co.uk
Quelle: Interpubic Magna