Nun, die Ziele, nämlich Bekanntheit zu schaffen und eine Entscheidung, nämlich einen Kaufakt auszulösen oder ein Kreuzchen zu setzen, sind identisch. Politische Wahlentscheidung gleich zu setzen mit einem Kauf ist nicht so gewagt wie es den Anschein haben mag. Mancher Werbeplaner behauptet sogar, dass es keinen Unterschied macht, ob eine Joghurt-Marke oder ein Politiker beworben wird. Parteistrategen dürften sich bei dieser Aussage die Nackenhaare hochstellen. Eines ist klar, eine Positionierung muss auch für politische Repräsentanten gefunden werden. Aufgabe der Werbespezialisten ist , die Botschaft auf einen Punkt zu fokussieren und eine klare Aussage zu formulieren mit der sich Kandidaten von den anderen unterscheiden.
Schauen wir uns einmal einige Techniken und Verfahren der „Werbung“ an. Insbesondere die mediale Unterstützung, das Handwerk der Mediaplanung und – die aktuelle Diskussion lässt grüßen – der Einsatz von social media und anderen Wahlunterstützern.
Die gängige Lehre nennt für Werbung drei Beeinflussungsziele in der Kommunikation: Aktualität, man muss sich ja immer wieder in Erinnerung bringen, Vermittlung von Emotionen, die ein unverwechselbares Erlebnisprofil zuordnen sollen und die Vermittlung von tiefergehenden Informationen für erklärungsbedürftige oder innovative Produkte.
An Medien stehen der Markenartikelindustrie im sogenannten Above the Line-Bereich das Instrumentarium der Oberflächenmedien wie TV, Print, Radio, Plakate zur Verfügung. Schwer messbar, da nicht vollständig im Radar der erfassenden Institute, sind Below the Line-Maßnahmen wie Verkaufsförderungen, Werbemittelzuschüsse, Handelsunterstützungen, Direkt- und Dialogmarketing und ähnliches. Rechnet man die Zahlen einmal zusammen, kommt ein stattlicher Betrag von über 30 Mrd. € alleine aus Investitionen der Markenartikler in Mediawerbung zusammen. Hier nicht oder nur ganz teilweise erfasst sind Investitionen in social media der werbungtreibenden Wirtschaft. Zudem ist es ausgesprochen schwierig annäherende Werte für Brutto-und Nettoausgaben zu ermitteln.
Eine Brutto-Übersicht der ‚spendings‘ bietet Nielsen wie hier dargestellt. Einzelne Werbungtreibende geben wie dort ausgewiesen mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr für Mediawerbung aus mit Spots, Anzeigen, Plakaten u.a. Werbeformen.
Quelle: Nielsen
MEDIENKLASSE |
2017 kum.*TEUR |
ABOVE THE LINE (Summe) |
31.867.880 |
ZEITUNGEN |
4.903.012 |
PUBLIKUMSZEITSCHRIFTEN |
3.403.877 |
FACHZEITSCHRIFTEN |
396.184 |
FERNSEHEN |
15.307.574 |
RADIO |
1.915.672 |
KINO |
159.900 |
INTERNET |
2.992.826 |
MOBILE |
663.147 |
OUT OF HOME/PLAKATE |
2.124.689 |
Stellt man diesen doch recht gewaltigen Ausgaben – hier nicht enthalten sind Produktionskosten – die Ausgaben politischer Parteien gegenüber (aus Gründen der Vergleichbarkeit auf ein Jahr wurde ein Dreijahresdurchschnitt gebildet um den ‚Ausreißer‘ Bundestageswahl 2017 zu berücksichtigen), sieht man welche geringe Rolle Werbung und insbesondere Media bei Parteien spielt. Gründe sind schlichtweg deren fehlende finanzielle Ressourcen. Im Vergleich zu Mediawerbung der großen Marken beträgt der Anteil für politische Werbung im Jahresdurchschnitt nur wenige Promille (Politische Parteien 37,15 Mio. € vs. 30 Mrd. € von Marken). Auf den Stellenwert Internet und Mobile, der bei der Markenwerbung über 11% (eigentlich reichlich mehr, da US-Anbieter deren Umsätze nicht ausweisen) ausmacht, wird später in diesem Beitrag eingegangen.
Werbe- und Kommunikations-Ausgaben politischer Parteien im
Jahresdurchschnitt 2015 bis 2017** in Tsd. Euro
MEDIA |
37.150 |
GESAMT/SCHÄTZUNG** |
42.010,0 |
ZEITUNGEN |
12.000 |
PUBLIKUMSZEITSCHRIFTEN |
eher 0 |
FACHZEITSCHRIFTEN |
eher 0 |
FERNSEHEN *** |
2.650 |
RADIO |
eher 0 |
KINO |
5.000 |
INTERNET |
9.000 |
MOBILE |
eher 0 |
OUT OF HOME/PLAKATE |
8.500 |
WERBEBRIEFE, HANDZETTEL |
1.500 |
VERANSTALTUNGEN |
3.300 |
CANVASSING** |
10 |
GIVE AWAYS |
50 |
*** Selbstkostenregelung bei Privaten,
BTW 17 ca. 8.000 |
|
In diesen Zahlen wurden Kommunalwahlen (hier vornehmlich out-door und Tageszeitung als klassische Medien), Landtagswahlen und die Bundestagswahlen 2017 berücksichtigt.
Quelle: © Helmut Poppe, poppe-media, 06.18,
eigene Berechnungen
Konzipiert und platziert wird die nationale Werbung der Parteien durch 5 Werbeagenturen, die ansonst Handelskunden oder große Marken betreuen. Bemerkenswert ist hierbei, dass jüngst klassische Werbeagenturen zunehmend Interesse an politischer Kommunikation und an Neugeschäft aus diesem public-Bereich zeigen. Die von den Werbeplanern in politischen Parteien „gefühlte“ Effizienz der einzelnen Kommunikationsinstrumente liegt erstaunlich hoch bei Maßnahmen wie Tür zu Tür-Besuchen „Canvassing“, persönlichen Briefen und bei Veranstaltungen. Als wirksam empfunden – und angesichts niedriger absoluter Kosten – werden auch social media-Plattformen wie Facebook, Pinterest und Twitter genutzt.
|
Parteienwerbung
„gefühlte“ Effizienz 1 bis 5 (hoch) |
ZEITUNGEN |
4 |
PUBLIKUMSZEITSCHRIFTEN |
2 |
FACHZEITSCHRIFTEN |
2 |
FERNSEHEN |
5 |
RADIO |
|
KINO |
3 |
INTERNET |
4 |
MOBILE |
3 |
OUT OF HOME/PLAKATE |
4 |
WERBEBRIEFE, HANDZETTEL |
5 |
VERANSTALTUNGEN |
5 |
CANVASSING |
5 |
GIVE AWAYS |
4 |
© Helmut Poppe, poppe-media, 06.18
Eine jüngst vorgenommene eigene intensive Recherche bei Planern und Strategen in Parteien zeigte Erstaunliches: sentiment analysis, „Algorithmen-gesteuerte“ Kampagnen – und Anspracheplanung, big data/analytics, auch programmatic political advertising, ähnlich wie in der Online- und zunehmend in der klassischen Medienwerbung, sind eine Mähr in Deutschland – sie gibt es in der politischen Kommunikation und Werbung (noch) nicht. Gründe hierfür sind zum einen die Skepsis gegenüber solchen Techniken bei den Medienmarktführern und bei Werbungtreibenden, fehlende Effizienznachweise und …. nicht bestehende Interdisziplinarität. Den politischen Kampagnenplanern fehlt der Zugang zu den „programmatic Nerds“, und diese können oder wollen nicht ihr Instrumentarium außerhalb der Absatzförderung oder nur für Forschungszwecke einsetzen.
Wer kennt sie nicht, die Briefe von Versicherern, Möbel-oder Modeanbietern, in denen man an aktuelle und für einen persönlich zugeschnittene Angebote erinnert wird? Die werbungtreibende Wirtschaft verstärkt nur leicht ihre Ausgaben in sogenannten Dialogmedien – gemeint sind damit unter anderem Briefe. Insgesamt macht aber dieses Marketing-Instrument einen erheblichen Anteil (fast 50%) der Ausgaben im Kommunikationsmix von Wirtschaftsunternehmen aus. Wenn Parteien dieses Tools nutzen, liegen sie wohl nicht falsch.
Die Abweichung der Bruttowerte i. Vgl. zu vorherigen Tabellen erklärt sich u.a. durch Brutto-Nettoberechnung und Produktionskosten.
Quelle: Horizont26/2018
Defizite politischer Parteien bestehen bei dem Nutzungsnachweis der Nutzung digitaler Kanäle – womit sie nicht allein stehen. Nicht nur der größte FMCG-Anbieter fordert verlässliche Reichweiten- und Nutzungsnachweise und droht mit einem Ausstieg aus „digital“. Dennoch liegen die Ausgaben politischer Paerteien für Kommunikation und Werbung im Internet mehr als doppelt so hoch im Vergelich zu Marken. Und dieser Anteil wird in den nächsten Jahren durchaus noch steigen zu Lasten von Print. Gar nicht revolutionär ist die Vision, dass spezielle Bewegtbild-Features und Audio-Podcasts ihren Eingang in der politischen Werbung finden werden. Dies kann sich gerade für Millennials lohnen. Content gibt es reichlich, der Cyber-Kanal ist nicht kostenintensiv, Bewegtbild und zeitversetztes Audio kommen bei jungen Zielgruppen gut an, bei diesen gilt ‚mobile screen first‘. Fantasie und Kreation sind gefordert … und auch Gespräche mit den neu entstandenen Contentportalen bisheriger reiner eCommerce- Anbieter und warum nicht, mit dem neuen Bewegtbildangebot von Instagram namens IGTV.
Auch sollten Mediaplaner für politische Kampagnen das gute alte UKW-Radio – ein typisches Abverkaufsmedium und sehr gut geeignet für kurzfristige Aktualisierungen – in ihren Excel-sheets wieder mit aufnehmen. Das Medium ist tagesaktuell einsetzbar, wofür in der politischen Kommunikation sehr häufig Bedarf besteht, es funktioniert in regionalen oder lokalen Plänen zu günstigen relativen und absoluten Kosten (TKPs und GRPs).
Eine hoch innovative Werbeform des Out of Home wurde im letzten nationalen Wahlkampf in Frankreich durch den Kandidaten Luc Mélenchon eingesetzt. Mit Hologrammen trat er virtuell und fast lebensecht zeitgleich auf unterschiedlichen Bühnen auf. Hiermit beweisen Kandidaten Innovations-willen und digitale Affinität.
Originalität und frechen Innovationsgeist demonstrieren werbende Unternehmen und bisweilen die Politik mit Guerillamaßnahmen und -Werbemitteln. Diese erzeugen einen ‚Hinguckeffekt‘, tragen zur Markenbekanntheit bei, sind kostengünstig, zielgruppengenau planbar und erzeugen hohe Sympathiewerte.
Wer wohnt hier?
Bild: Landon Martin
Ein interessanter Aspekt stellt die Frage der Adressenverwaltung und Auswertung im Rahmen von Canvassing-Apps dar. Lief früher ein Wahlkämpfer von Tür zu Tür und machte sich hinterher auf einem Zettel Notizen, können papierlose Planung, Durchführung von Gesprächen und deren Auswertungen in digitaler Form ein heißes Eisen sein.
Empfehlungen für die Konzept- und Budgetplanung Kommunikation und Werbung politischer Parteien lauten somit:
- Profiling schärfen
- Wählerbindungsinstrumente einsetzen
- Dialogmedien nutzen
- Für junge Zielgruppen streaming-Formate erstellen und dort
- (falls Möglichkeiten vorhanden) werben
- UKW wieder neu und Audio-Podcasts als wirkungsvolle Medien entdecken
Wenn Wirtschaftswerber, Prospektaussender und Handelsketten Verfahren der Profilerstellung selbstverständlich nutzen, müssten sie eigentlich auch politischen Parteien offen stehen. Politische Einstellungen und Kaufabsichten sind dann offensichtlich doch zweierlei und nicht dasselbe in Deutschland.
© Helmut Poppe, poppe-media, 06.18