Distanzlernen in Schulen lässt weiterhin auf sich warten

Prof Peter Henning beschreibt ausführlich und kenntnisreich den Stand der Bildung in #Schulen und #Hochschulen in #Corona-Zeiten. Als Kollege – wir beide Leiter des Lab #eLearning im BVDW – und auch bei learntec machten schon früh aufmerksam auf Chancen von digital gestützt Lernen.

Schaut man in deutsche Schulen wird viel über fehlende Wlans und Defizite bei der Technik geklagt. Das Thema Lernen ist viel zu komplex um es alleinig auf IT zu reduzieren. Bereits 2009 habe ich auf vollständige Unvorbereitetheit des Schulsystems bei drohenden Pandemien hingewiesen. (Bildungsklick/Poppe).Die Verantwortlichen müssen sich da schon an die Nase greifen – oder sind sie schichtweg überfordert und ziehen sie sich auf die Position des „wir warten auf …., wir haben schon, aber …“ zurück? Eindeutig fehlt eine Interdisziplinarität mit anderen Disziplinen: eGaming, ja!, .. Big Data, .. bestimmt, Blick auf nicht pädagogische Bereiche, digitale Methodenkompetenz, Kommunikationsforschung ….Spannend sind Distanzlernszenarien für als ‚schwierig‘ vermutete Fächer wie Sport und Fremdsprachen. PDFs und ‚Bewegung an der frischen Luft‘ können es nicht sein. Naturwissenschaften beigebracht mit VR/AR, Mathematik – Horrorfach für viele – ebenfalls.eLearning kann Akzelerator in Lernprozessen sein, es muss gerade jetzt gefördert werden mit Vorzeigeprojekten. Setzt auf Bestehendes wie zum Beispiel Videokonferenz-Lernen, Cloudlösungen und baut sie aus. Es wurde viel zu lange gewartet und es wird immer noch gezögert.

Hier der facebook-Artikel des Professor des Jahres 2007“ in der Kategorie Ingenieurwissenschaften und Informatik. „Wir haben vorgestern im Landesfachausschuss Bildung und Wissenschaft über die Folgen der Corona-Maßnahmen für die Bildung diskutiert. Wenn ich das mit den eigenen Erkenntnissen aus allen Bildungsbereichen zusammenwerfe, kommt ein erschreckendes Bild heraus1 Schule1.1 Der Mangel an Lernzeit und Lernstoff, der sich aus zwei halbgaren Schulhalbjahren ergibt, ist für die meisten Grundschulkinder beherrschbar und aufholbar. Das hängt mit der Flexibilität der kleineren Kinder zusammen, diese Erfahrung haben wir schon vor mehr als 50 Jahren mit den so genannten Kurzschuljahren gemacht, in denen die Bundesländer ihre Schuljahresanfänge aneinander angepasst haben.1.2 Der Mangel ist nicht aufholbar für die älteren Jahrgänge, sagen wir ab Klasse 10. Hier werden wesentliche Aspekte des Stoffes versäumt, was zu erheblichen Defiziten führen wird. Teilweise ausgeglichen wird dies durch den verstärkten Erwerb von Selbstlernkompetenzen und Selbstmanagementkompetenzen.1.3 Bei allen Schuljahrgängen tritt das große Problem auf, dass ein erheblicher Teil der Schüler durch noch so gute Ansätze zum Distanzunterricht nicht erreicht worden ist. Neben den erheblichen Lernstandsdefiziten tritt dabei ein starker Verlust der Lernfähigkeit zu Tage, sie sind kaum noch für „Schule“ zu motivieren. Deutlich gesagt: Wir werden einen signifikanten Anstieg der Schulabbrecher sehen und müssen uns auf eine Ausweitung der Förderprogramme einstellen.1.4 Betreuungslehrer und Schulsozialarbeiter melden einen erheblichen Anstieg der Schüler mit psychischen Problemen – die Rede ist, ohne dass das derzeit verifizierbar ist, von einer Verdoppelung.1.5 Sportlehrer melden eine signifikante Verringerung der körperlichen Fitness (in der 7. Klasse z.B. durch standardisierte Tests erfasst) bereits nach einem halben Jahr. Der körperliche Zustand der Schüler verschlechtert sich dramatisch, wenn sie nur noch daheim eingesperrt sind.2. Hochschule2.1 Obwohl die Hochschulen beim Thema „Lernen auf Distanz“ sehr viel weiter sind als die Schulen (doch häufig immer noch Lichtjahre hinter dem etablierten Stand der Kunst zurück), ergeben sich deutliche fachliche Defizite bereits nach einem halben Jahr. In vielen Fächern fehlt den Studierenden einfach der diskursive Aspekt, die persönliche Betreuung durch einen Tutor oder die Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Tisch kann eben nicht vollständig durch noch so ausgefeilte digitale Konzepte ersetzt werden. Nicht umsonst ist der „Stand der Kunst“ heute das Blended Learning, bei dem Präsenzphasen und Selbstlernphasen nach verschiedenen Modellen einander abwechseln und ergänzen.2.2 Nicht nur haben viele Erstsemester des Sommers 2020 ihr Studium bereits wieder abgebrochen – denn so möchten sie einfach nicht studieren. Sondern es wird aus den Abschlussjahrgängen der Schulen berichtet, dass viele der Schüler keine Motivation verspüren, jetzt sofort ein Studium zu beginnen. Wir werden also einen deutlichen Rückgang der Studierendenzahl sehen – katastrophal, weil dies den Fachkräftemangel in Deutschland in wenigen Jahren noch deutlich verschärfen wird.2.3 Viele Studierende berichten über erhebliche psychische Probleme: Verlust der Motivation, Verlust der Tagesstruktur. Wir erleben dies sogar in bisher nicht gekannter Form bei denjenigen, die nach dem Studienabschluss ihre erste Stelle in einem Forschungsprojekt antreten wollten – manche tauchen gar nicht mehr auf.Natürlich sind das alles direkte Beobachtungen, von einer systematischen Erfassung kann nicht die Rede sein. Es ist aber sonnenklar, dass die Corona-Maßnahmen den jungen Menschen nicht nur ein Jahr ihrer Jugend stehlen. Sondern insgesamt den Bildungsstand der Gesellschaft verringern. 2019 zeigte eine sehr schöne Studie des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital in Wien einen signifikanten Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Lebensdauer. Es ist damit allerhöchst plausibel, dass die Corona-Maßnahmen unter dem Strich auch in den Industrieländern mehr Lebenszeit von Menschen kosten werden, als es das Virus selbst auch bei ungehinderter Ausbreitung getan hätte.
Pic Kelly Sikkema