Selbstzentrierte Bubbler

Sie sind bestimmt wichtig, die Treiber im Digitalen, aber übertreiben Sie es nicht ein bisschen? „Wohl noch nie richtig gearbeitet?!“

So lautet die genervte Aussage eines mittlerweile Seniors, der selbst zu den digitalen Pionieren zählt. Schaut man sich einmal diese hier zufälligerweise französische Liste an ( Entsprechendes gibt es in Deutschland sicherlich auch), die wandlungsaffine Felder durch und nach Corona aufzeigen soll, fallen einem Punkte auf wie eine Notwendigkeit des lokalen Handels, sich digital anzupassen, eine angebliche neu entstehende Ethik  der Wirtschaftsunternehmen oder auch das Ansteigen der Streamingdienste. Unmittelbar lebensnahe Themen wie beispielsweise Erziehung, Gesundheit oder Politik werden nicht erwähnt.  Sie passen wohl nicht zum Portfolio des Anbieters.

In gelb: punktuelle Entwicklungen, grün = dauerhaft. Tendenzen, die für die ‚Welt danach‘ im Auge zu behalten sind. Es geht viel um Handel ….

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Quelle: digimind.com

Haben die vorwiegend jungen Verfechter neuer digitaler Welten dergleichen drei lebensnahe Themen nicht in der Optik? Ganz offensichtlich haben sie mit ihrem Unternehmenshintergrund Digital Insights und Market Intelligence Tools im Gepäck, die Entwicklungen im Handel und der Mobilität evaluieren und hervorsagen sollen. Da gab es doch eimal ein Lied „So vain …“

Man könnte sich einmal eine Maslowsche Bedürfnispyramide anschauen und von unten nach oben prüfen, inwieweit die einzelnen Felder durch den digitalen Wandel ‚bedient‘ werden können.

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Die bekannte Pyramide ist eine Interpretation von Maslows Bedürfnishierarchie (wiki)

Schon alleine für die Stufe der ‚Selbstverwirklichung‘ braucht‘s nicht unbedingt Digitales und die vielen technischen Angebote lenken bestimmt von Grundbedürfnissen ab. Dem mittlerweile überbesetzten Begriff ‚NewWork‘ hat der Blog „Indiskretion Ehrensache“ mit der dahinter stehenden Digitalberatung kpunktnull einen längeren Artikel gewidmet und dem Titel „Größter Management-Fehler 2020: Der irrige Glaube an das Home Office„. Darin werden zahlreiche Defizite identifiziert mit Aussagen wie: Home Office wird eine Art des Arbeitens sein und nicht herkömmliche Formen ersetzen. Lang anhaltend ‚Off the office‘ zu arbeiten, schadet nicht nur der Gesundheit sondern kann sich auch negativ auf die Karriere auswirken. Die Unternehmenskultur leidet und neue Mitarbeitern haben große Schwierigkeiten sich in dieser Arbeitsform in einem Unternehmen zu integrieren. Home Office konterkariert zudem Millennial-Werte, denn deren Angehörige  suchen Sinn in allen Teilen des Lebens und die Gemeinschaft.

Auch die F.A.Z.  hat jüngst in einem Artikel mit dem Titel „120.000 € für zwei Emails am Tag“ geschildert, wie sehr ein Mensch aus der Wissenswirtschaft darunter leidet, dass er nichts zu tun hat und trotzdem gut weiterbezahlt wird. Der Fehler war beim Vorgesetzten zu suchen, bei dem entweder digitale Kommunikationswege nicht zum täglichen Habitus zählen oder meinte, Wichtigeres tun zu haben.

Spannend wird die Sache mit der Arbeit, wenn man einmal minutengenau Buch führt, was man als Erwerbslöhner in welchem zeitlichen Umfang tut, um seine Brötchen zu verdienen. Diese Mühe geben sich die allerwenigsten.  Letztens bei einer Mitarbeiterin gesehen, dass diese täglich eine Stunde damit verbringt – was durchaus nachvollziehbar ist – Emails zu lesen. Eigentlich müsste man einzelne Arbeitsschritte bestimmten Wertschöpfungsfeldern zuordnen. Ein Keylogger sprich Mitschreiber von Tastaturbefehlen wird das alleine nicht können. Bemerkenswert dabei ist, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, wie ihr Job detailliert definiert ist und was die wichtigsten Felder sind. Werden die einzelnen Jobtätigkeiten nicht eher nach den Kriterien aufgeteilt „Könnte den Vorgesetzten nicht gefallen“ oder „Man holt sich Kritik ein“?

Der Mensch denkt …. „.
Vor einigen Monaten war von einem Zukunftsforscher und einem Mediamenschen zu lesen, dass, wenn wir im Herbst zurückdenken an die heftigen Coronazeiten und wenn Trump weg ist, uns ein anderer Umgang mit Konsum und Umwelt bleibt. Wie es aussieht, wird dem nicht so sein. Corona zieht sich hin, die zweite Welle ist wohl schon im Gange, und wenn es ganz schlecht läuft, passieren noch ganz andere Dinge. Es muss nicht das schwarze Loch sein, aber es könnten auch massive wirtschaftliche Katastrophen entstehen oder andere Konstellationen, die manche Digitaldenker nicht auf dem Monitor haben. Ein Großteil der Vorhersagen in den dargestellten Szenarien wäre obsolet. Dann geht es um ganz andere Dinge.

Andere Dinge in der Zukunft, das könnten solche Begriffe sein wie: mehr Nähe, Wärme und Gruppenzugehörigkeit, und hier kommt der gedankliche Brückenschlag zu dem Medium Radio: der große Radio Host Harry von Zell sagte schon vor Jahrzehnten: „Radio is the most intimate and socially personal medium in the world.“ In dem aufgezeigten Zukunftskontext hat es somit eine hervorragende Chance, nur wie Markus Langemann jüngst beklagte, ist derzeit „Radio ohne Eier„. Höchste Zeit, dass sich daran etwas ändert. Es gäbe gute Chancen mit neuen DAB+-Frequenzen und zwar national.


Harry von Zell (Wiki)

Impressionen von der European Radio Show

Short time out @ European radio Show

Artikel veröffentlicht am 31.01.2020 in radioszene.de

Internationale Tendenzen und Innovationen für Medienschaffende

Im Bild: Evelin und Helmut Poppe
Short time out @ European Radio Show

Den Veranstaltern der European Radio Show ist es dieses Jahr wieder gelungen, eine ungemein abwechslungsreiche Messe in Paris auf die Beine zu stellen. Die 3-Tagesveranstaltung, die in einem Kongressprogramm Roundtables, Diskussionen und Präsentationen anbot, verzeichnete nach Veranstalterangaben mehr als 8.000 Besucher vom 23. bis 25. Januar. Diese im Vergleich zu anderen Radioveranstaltungen sehr hohe Anzahl erklärt sich zum einen ganz einfach durch den freien Eintritt für Branchenakteure. So ist es auch Mitarbeitern der ‚dritten Garde‘ aus den Sendern und den umliegenden Branchen finanziell möglich, dem großen Branchentreffen in der historischen Halle de la Villette im Osten Paris beizuwohnen. Gerade diese Radioleute sind es ja schließlich, die wesentliche Innovationen einbringen und umsetzen müssen, und sie kamen zahlreich. Insgesamt gab es von allen Seiten ein großes Lob auch wegen der Vielfalt des Programms und der professionellen Organisation.

Besonders ins Auge fielen Neuigkeiten aus den Bereichen: Personalentwicklung, zur Fragestellung, ob Podcasts dasselbe Phänomen erfahren werden wie Videos auf YouTube, ob und was Frankreich und Deutschlands Radiomacher voneinander lernen können. 
Von der technischen Seite sind besonders drei Neuerungen bei Sender-Aggegratoren und Podcastsoftware zu erwähnen und … was vielleicht besonders zukunftsweisend ist, Innovationen zum Thema Tracking des Hörers, zur Profilbildung und zu der Berücksichtigung der hieraus gewonnenen Daten im Programm. Hier zeichnet sich eine Relevanz für das europäische Medienrecht ab. Eines ist klar, in Frankreich wird fleißig von Seiten des Staates Rundfunk reglementiert, was zur Folge hat, und was auch gleich an dieser Stelle eine Vorwegnahme der insgesamt gewonnen Erkenntnisse darstellt, dass Reglementierungen und hoher Wettbewerbsdruck, wie er in Frankreich viel mehr gegeben ist als in Deutschland … zu kreativen Lösungen führt.

Die deutsche Mediaanalyse MA weist 263 Sender aus, hinzukommen 78 erfasste Webradios. Im Vergleich dazu senden über 1.229 Anbieter in der gallischen Nation. Berechnet man die Netto-Werbeeinahmen auf Basis der Anzahl der Einwohner erhält man eine pro Kopf-Zahl an Werbeinvestitionen Radio von gut 10 € per Jahr in beiden Ländern, was manchen Sendereigner zu einem Stirnrunzeln bewegt, die diese Zahl naturgemäß als viel zu niedrig empfinden.
Einen Hinweis auf einen höheren Erfolg im Werbezeitenverkauf ergeben die auf Basis der gewichteten Einwohnerzahlen ermittelten Umsätze, Frankreich hat eine um 20% kleiner Bevölkerungsanzahl, gewichtet man die Nettowerbeumsätze dort entsprechend, ergeben sich zumindest gleich hohe Einnahmen insgesamt wie in Deutschland (Quelle: bump, Nielsen, VAU.net und ARD). Da das staatliche Radio in Frankreich auf 50 Mio. € Werbeeinnahmen gesetzlich limitiert ist, könnte man anteilsmäßig wie in Deutschland noch einmal etwa 200 Mio. hinzuschlagen. Im Ergebnis könnten die französischen Sender in der Gesamtheit also einiges mehr einnehmen als die hiesigen. Da sich die Reichweiten mit 76% Hörer gestern und in den Verweildauern ziemlich ähneln (Quellen: médiamétrie und MA), scheint linksrheinisch mehr Druck, Kreativität und Erfolg im Verkauf zu diesen höheren Zahlen führen. Diese vergleichenden Aufstellungen sind hier nachlesbar:

Von der Prorammseite fiel auf, dass in unserem Nachbarland stark auf das Format TALK gesetzt wird. Die vier großen nationalen Senderketten France Inter, dieser weiterhin und in Zeiten der Streiks die No.1 und Europe 1, RTL und Sud Radio betreiben nicht nur ein konsequent durchstrukturierte fast ausschließliche Talk-Angebote, sie nutzen auch im hohen Umfang begleitendes Bewegtbild und sehr viele Möglichkeiten für Hörer, um mit den Sendern in Kontakt zu treten. Die beiden in Deutschlands privaten Stationen wenig anzutreffenden Faktoren (da teuer und aufwendig) Reaktivität und Bewegtbild, führen offensichtlich zu hoher Akzeptanz und indirekt zu bedeutenden Werbeeinnahmen.

Programmerfolg und die Faktoren, die hierzu führen, laden zu einer Messung ein. Drei Anbieter stachen bei dieser Aufgabenstellung besonders ins Auge:

ACE misst Call ins und wertet diese Hörerreaktionen aus. Zusätzlich können mit dem gewonnenen Datenbestand bestimmte geplante Themen vorhersehbar gemacht werden nach Anzahl der redebereiten Hörer, deren Historie, Regionalität und Menge. Das Programm wird nach Angaben des Anbieters von führenden Senderketten im Programmalltag genutzt.

Yacast, misst im Auftrag der staatlichen Behörde CSA (diese ist teilweise vergleichbar mit unseren Medienanstalten) mit dem Instrument “Baromètre Radio” begleitend die Reichweiten des Forschungsinstituts Médiamétrie und verfolgt die „strategischen Zielsetzungen“, gemeint sind wohl Senderstrategien, deren Verhalten und Kontrolle. Da bei unseren Nachbarn der Anteil der einheimischen Titel und die Zeit/Wort-Anteile der Politiker eingehalten werden müssen, setzt die CSA ebenfalls auf diesen Dienstleister und eine Anwendung namens “MediaArchiver”.

NEUROMEDIA: Hier geht es (noch?) nicht um die Messung von Gehirnströmen oder gar um deren Beeinflussung sondern um detallierte Messungen des Hörerverhaltens. Diese zukunftsweisenden Anwendungen erlauben nicht nur, mit dem Produkt „CasterStats“ Audio- und Videostreaming zu erfassen und auszuweisen oder mit „TraxFlow“ Musiktitel zu steuern, mit dem dritten Angebot aus dem Portefeuille des belgischen Unternehmens wird – manch einer erinnert sich da noch an die vor zwanzig Jahren aufgekommene Schweizer Uhr, mit der Radionutzungsvorgänge gemessen werden sollten – jetzt hilft das Smartphone hierbei. Wie der Hersteller schreibt, sollen Radio- und TV-Inhalte digital, über UKW oder DABplus verbreitet erfasst und ausgewiesen werden.

Da solche Aufgaben auch zu dem Wirkungsbereich der deutschen Medienanstalten zählen, dürften diese sich bald solche offensichtlich bisher unerkannt gebliebenen neuen Entwicklungen näher anschauen. Bisher verlässt man sich auf Stichproben, die zumeist nicht automatisiert durchgeführt werden durch – wie man hört – Werksstudenten. Im Rahmen eines europäischen Medienrechts und mit der Zielsetzung „gleiches Recht für alle“ ergeben sich spannende Fragestellungen und neue Aufgaben. Diese sollen hier an dieser Stelle aber noch nicht besprochen werden.

Bleibt noch zu erwähnen, dass für den Alltagsbereich relevante Angebote (wieder-) in Paris entdeckt wurden: der von den deutschen Anbietern betriebene Radioplayer kann auch in Frankreich von dortigen Stationen auf Anfrage genutzt werden. Uns gefiel besonders auch der ebenfalls werbefreie Aggregator audials, der was wohl einzigartig ist, Mitschnitte gleich mit dem Handy oder dem PC erlaubt von den tausenden enthaltenen Radio- und Podcastprogrammen. Hier hat das Karlsruher Unternehmen eine ganz exzellente Anwendung geschaffen, die mehr Aufmerksamkeit in der Branche verdient.Wer es spielerisch mag und sich mit Podcasts vergnügen möchte, greife zu lilicast.com. Mit dieser einfach online zu bedienenden und exzellent assistierten Web-App lassen sich Produktionen rasch und optisch gut aufgemacht erstellen. Da griffen wir rasch zu. Die Frage, ob Podcasts die gleiche Erfolgsstory wie YouTube-Videos erfahren werden, wurde natürlich auf der European Radio Show auch gestellt. Syndikatisierungen stellen ein interessantes Modell dar. RTL Radio-Mann Christian Schalt nannte hierzu auch Erlösbeteiligungsmodelle in einer Roundtable am ersten Tag. Da bleibt nur die Frage einer zentralen Audio Landing Page, und diese steht bisher aus.

Roundtable auf der 
Hans Knobloch, Christian Schalt, Caroline Grazé, Vincent Benveniste,
Helmut Poppe bei der European Radio Show 2020
 (Bild: ©RADIOSZENE)
Hansi Knobloch, BR, Christian Schalt, RTL Radio; Caroline Grazé, radioplayer, Vincent Benveniste, DAVID Systemns, Helmut Poppe, Modertor des Roundtables

Wortbeiträge scheinen in Deutschland im Aufwind zu stehen, man beachte hierzu das neue MDR-Format „MDRfragt“ und weit über zehntausend deutschsprachige Podcast-Produktionen. Bei RADIOSZENE wurde auch jüngst über eine entsprechende Entwicklung bei der BBC berichtet. Eher skeptisch und philosophisch sah BR-Mann Hans Knobloch den Zustand des deutschen Radios „Jedes Land bekommt das Radio, das es verdient“. Podjock Gerry (Gérard) aus Liverpool und CEO von Podcast Radio, das Großes vorhat, meint, dass eher die Gesellschaft das Medium prägt. Er stellte jüngst auf LinkedIn sein neues Angebot mit einem real funny gemachten Video vor: „London wide – we cannot wait“.