Andere Länder – andere Gesprächskulturen?
Europäer im Süden lieben es zu diskutieren?
Allen gemeinsam sind dieselben Grundbedürfnisse.
Egal in welchem Land, Hörer verbringen mehr und mehr Zeit in Social Media. Dieses Verhalten ist Ausdruck eines mächtigen Mitteilungs- und Partizipationswillens.
Warum gibt es in Deutschland kein engagiertes nationales TALK- und Show-Radio?
Andere Länder machen es vor, neben den üblichen Beispielen in den USA gibt es bei unseren europäischen Nachbarn hervorragende Leuchttürme für erfolgreiche Wortprogramme. Diese darf man nicht mit dem vergleichen, was wir von öffentlich-rechtlichen wortlastigen hiesigen Angeboten kennen. Bei den Nachbarn buhlen fünf nationale Anbieter um die Ohren der Hörer. Neben dem staatlichen Hörfunkprogramm France Inter sind dies Europe 1, SudRadio, RTL und vor allem Radio RMC.
Eines haben die vier französischen Privaten gemeinsam: deren Eigentümer sind Einzelunternehmer mit mächtigen Konzerngruppen, die erfolgreich in anderen Industriebranchen und nicht nur in Medien unterwegs sind. Deutschland ist da eher klein gestrickt bis auf den einen großen Player aus Gütersloh..
Ballunsraum Paris Marktführer Radio RMC startet den Morgen mit hohem Tempo und einer 4er-Moderation beispielsweise mit angeteaserten Kurznachrichten wie „Moschee im Elsass mit hohen staatlichen Subventionen gebaut“, „Instagram jetzt auch für Kinder?“, „Hochemotionales Interview mit der Mutter eines verstorbenen jungen Geimpften“. Zwischendurch Werbeblöcke, Programmankündigungen. In der späten Nacht führt der Sender Interviews mit Bäckern, LKW-Fahrern und gerne auch mit älteren Damen und demonstriert Volksverbundenheit. Nachmittags läuft Sport, deshalb auch die Senderkennung: „Info, Talk, Sport und … Meinungsbildung“. Denn jeden Morgen um 8:30 h führt der national bekannte Moderator Jean-Jacques Bourdin ein Interview mit provokanten Fragen und durchaus mit Politikern aus dem extremen rechten oder linken Spektrum. Das Publikum scheint das Angebot zu lieben: RMC ist nicht nur Marktführer vor allem im Großraum Paris mit über 10 Mio. Eomnwohnern, dpert erfolgte Interviews und Debatten sind täglich ‚Talk of the Nation“..
Von Belang für deutsche Medienmacher ist der Blick ins europäische Ausland, da Mediengesetze häufig auf EU-Ebene mit entschieden werden. Gerade auch wenn es um die Zulassung internationaler Anbieter geht. Beispiele aus dem TV dafür gibt es mit CGTN, RT DE und TRT. Demokratisch geprägt und mit dem Ziel einer offenen Meinungsbildung sind diese drei Anbieter nicht. Jüngst machte einer der Anbieter von sich reden im Zusammenhang mit Fake News zu ‚klandestinen“ Spitzenretaurantbesuchen von Politikern.
Zwei, drei deutsche Anbieter haben in den zurückliegenden 18 Monaten den Versuch gewagt, Ähnliches wie ihre französischen Kollegen anzubieten. Dies ist einem MDR, dem HR oder dem einen oder anderen privaten Anbieter durchaus gelungen. Nur, … es blieb bei einem Halbtagsversuch.
Warum geht den Sendern die Luft aus? Ist es der fehlende Glaube an das Format, Bedenken das Angebot monetarisieren zu können oder schlichtweg Statik und Bedenken bei der Entscheidungsfindung? Spielen deutsche Erfahrungen aus der Nazi-Rundfunkzeit eine Rolle? Muss es immer so ernst bei uns sein – ist etwa unsere Debattier- und Streitkultur unterentwickelt? Wie kommt es , dass Illner, Plasberg und Kollegen im TVgute Reichweiten erzielen, nicht aber – vielleicht sogar in einer pointierteren Form – im Radio zu hören sind?
Wir leben in einer Welt der Aufmerksamkeitsökonomie. Nicht umsonst erfreuen sich Rede-, Zuhör-und Diskussionsplattformen in allen Spielformen in Social Media zu den erdrückend erfolgreichen Reichweitengewinnern. Dies geschieht durchaus zu Lasten von Radio. Nebenbei geht die Datenhoheit verloren, denn besagte Medien finanzieren sich bekanntlich über Erkenntnisse und Profile gewonnen aus dem Onlineverhalten ihrer Kunden. Muss sich Radio nicht nur in solchen Medien umstellen sondern vor allem auch auf die alten und in der Zukunft weiterhin geltenden Kraftelemente „Wort und Stimmung“ setzen?
Eines ist sicher, zwei Titel, Wort, dann Wetter, Werbung, Verkehr und am Wochenende Party am Baggersee mit dem lokalen Möbelhaus können es nicht mehr sein. Solch ein Programmformat ist ein Auslaufmodell. Nicht nur die jungen Menschen machen vor, wie Wortinhalte und Musik genutzt werden. Deren Quellen lauten Musikstreaming, Podcasts und mobil. Bei einem Altersdurchschnitt der deutschen Radiohörer an die 50 Jahre ist absehbar, dass das alte Medium sehr bald eine neue Form benötigt.
Bleibt noch die Frage der Finanzierbarkeit, in neudeutschem Marketingspeech ‚Monetarisierung‘.
Für ein nationales engagiertes Radioprogramm entstehen Kosten samt Übertragung, Technik, Personal und Lizenzen von unter 20 Mio. € jährlich. Erzielbar sind über Werbeeinnahmen und andere Marketing-Quellen bei einer Reichweite von 200.000 Hörern in der Durchschnittstunde quer über Deutschland gut und gerne 20 bis 30 Mio. €. Lukrativ für wagemutige Anbieter könnte es somit allemal sein.
Folgen Sie der Diskussion zwischen Alexander Zeitelhack, Dekan an der BSBI, Andreas Sprengart, Marketingleiter Antenne Kaiserlautern und Helmut Poppe ex-Verkaufs-Chef IPA/RTL und Studio Gong. „TALK und Show im deutschen Radio – unerkannte Chancen für die nahe Zukunft“. Dauer des Videos 17 Minuten.